Die erste Hälfte dieses Jahres war in Frankreich durch einige wichtige Reformen des Arbeits- und Sozialrechts gekennzeichnet. Dabei ging es dem französischen Gesetzgeber primär um die Stärkung der in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit und mangelnden Wirtschaftswachstums ohnehin „bedrohten“ Arbeitnehmerrechte. In diesem wirtschaftspolitischen Kontext wurde am 20. Januar 2014 das Gesetz n°2014-40 zur Reform des Rentensystems beschlossen, das den Arbeitstitel „Mieux prendre en compte la pénibilité au travail“ (Die Beschwerlichkeiten am Arbeitsplatz besser in Betracht ziehen) trägt und zum 1. Januar 2015 in allen seinen Bestimmungen in Kraft treten soll.
Bei der hierbei thematisierten „pénibilité au travail“ geht es im Sinne des art. L. 4121-3-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs um Arbeitnehmer mit besonderer Belastung am Arbeitsplatz. Alle Arbeitnehmer, die bestimmten, abschließend aufgezählten äußerlichen Faktoren (wie z.B. mechanischen Vibrationen; Lärm oder Arbeit zu ungewohnten Tageszeiten) und als Folge dessen der Gefahr einer dauerhaften, bestimmbaren und irreversiblen gesundheitlichen Schädigung ausgesetzt sind, sind von dieser Regelung erfasst. Nach Angaben von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden handelt es sich um etwa 20 % der gesamten französischen Arbeitnehmer.
Die in diesem Gesetz festgelegten Änderungen betreffen zunächst das Renteneintrittsalter. Künftig dürfen Arbeitnehmer, die aufgrund der an ihrem Arbeitsplatz vorherrschenden Belastungen einen Arbeitsunfall erleiden oder anderweitig dauerhaft arbeitsunfähig werden, früher in den Ruhestand als andere Arbeitnehmer (neuer art. L351-1-1 des französischen Sozialgesetzbuchs). Der volle Rentenanspruch bleibt dabei erhalten. Erwähnenswert ist auch der neue art. L 4612-16 des Arbeitsgesetzbuches, der dem Arbeitgeber vorschreibt, mindestens einmal jährlich einen Bericht über die Gesundheitsbelastungen im Betrieb, sowie die getroffenen Vorkehrungen und konkreten Gegenmaßnahmen vorzulegen.
Eine der wichtigsten mit der Reform einhergehenden Neuerungen ist jedoch die Einführung eines Punktekontos für belastete Arbeitnehmer. Für jedes Trimester einer besonderen Belastung wird dem Arbeitnehmer ein Punkt gutgeschrieben. Diese Punkte werden gesammelt mit dem Ziel nach einer bestimmten Zeit entsprechend umgewandelt werden zu können. Dabei hat der Arbeitnehmer grundsätzlich die Wahl zwischen einer Umschulung zum Zwecke des Berufswechsels, einem Übergang in Altersteilzeit bei vollem Lohnausgleich oder (bei einem Kontostand von mindestens 10 Punkten) einem zusätzlichen Trimester Rentenanspruch. Für jüngere Arbeitnehmer gilt dabei der Vorrang der Umschulung: So müssen in dieser Altersklasse die ersten 20 Punkte für Umschulungsmaßnahmen eingesetzt werden.
Von der Politik als „wichtige soziale Innovation, die einen entscheidenden Fortschritt für die Arbeitnehmerrechte bedeutet“ gepriesen, hat die Gesetzesreform auch Kritik auf sich gezogen. Von Arbeitnehmerseite wird vor allem beklagt, dass die Aufzählung des art. L. 4121-3-1 abschließend sei und bestimmte besonders gefährdete Gruppen von Arbeitnehmern, wie z.B. unter Dauerstress leidende und daher von Burn-out betroffene Personen, von der Gesetzesreform gar nicht profitieren können. Seitens der Arbeitgeberverbände werden vor allem eine erhöhte personelle und finanzielle Belastung der Unternehmen moniert. Die Kosten werden insgesamt auf 500 Millionen € im Jahre 2020 und auf 2,5 Milliarden € im Jahre 2040 geschätzt.
Mit Sicherheit ist der Schutz der Arbeitnehmer eine wichtige und angesichts der andauernden Krise auch notwendige Maßnahme. Sie steht rechtspolitisch in perfektem Einklang mit der „Loi sur la sécurisation de l’emploi“ (Gesetz zur Beschäftigungssicherung) vom 14. Juni 2013 und anderen arbeitnehmerfreundlichen Maßnahmen steht. Die Unternehmen sollen angeregt werden, mehr in die Vorbeugung von auf besonderer Belastung basierenden Schädigungen der Arbeitnehmer zu investieren. Die Frage nach der für die Ankurbelung der Wirtschaft und damit auch der Beschäftigung so entscheidende „Schonung“ der betroffenen Unternehmen bei der Finanzierung der Maßnahmen, hat der Gesetzgeber jedoch nur sehr unzureichend beantwortet.
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